Der Eigenanbau von Obst und Gemüse verlor im selben Maße an Bedeutung, wie die städtische Bevölkerung wuchs. Aber mittlerweile lebt das Interesse an selbst gezogenem Obst und Gemüse, insbesondere im städtischen Umfeld, wieder auf. Dies ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, darunter die Skepsis gegenüber der Massenproduktion mit Herbiziden, Pestiziden und chemischen Mitteln. Manche selbst gezogene Arten sind aus verschiedenen Gründen nicht lange haltbar oder wirtschaftlich nicht tragfähig. Sie haben jedoch oft einen besseren Geschmack und höheren Vitamingehalt. Weitere Gründe, wie z.B. die Erhaltung historischer Pflanzensorten und Anbaumethoden, haben für zunehmendes Interesse gesorgt. Im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit geht es besonders um den Erhalt des genetischen Pools.
EGHN stellt eine Reihe von „Fruchtbaren Gärten“ vor, die zu den besten Beispielen in Norwesteuropa gehören. Sie sind allesamt größere Anlagen mit vielen Facetten, aber jede einzelne bietet individuelle Anstöße, wie man den eigenen Garten oder auch öffentliche Gärten weiterentwickeln kann. Der legendäre „Jardin Potager“ in Villandry (F), der auf den Stichen Cerceaus aus dem 16. Jahrhundert basiert, beeindruckt und inspiriert fortlaufend Gärtner und Gartengestalter, die Obst und Gemüse in dekorativer Form anbauen möchten. Es gibt keinen Zweifel darüber, dass selbst angebaute Tomaten und Äpfel Geschmackserlebnisse vermitteln, die jenseits dessen liegen, was der örtliche Supermarkt bieten kann. Manche dieser Gärten sind traditionell ausgerichtet. Andere Gärten werden immer zukunftorientierter und beginnen im Zusammenhang mit alternativen Energien mit der Pflanzenproduktion für Biomasse, z.B. der zeitgenössische Garten „Dycker Feld“ am Schlosspark Dyck in Jüchen (D).
In den letzten Jahren sind eine Reihe von Küchengärten in Tatton Park (GB), einem Anwesen aus dem 18. Jahrhundert, restauriert worden. Innerhalb des 2,25 Hektar großen Küchengartens befindet sich ein voll funktionstüchtiger Gemüsegarten. Der Obstgarten wurde kürzlich wieder neu bepflanzt, und es ist interessant sich vorzustellen, wie ein solcher Garten in früherer Zeit wohl funktioniert hat. Das kürzlich renovierte 36 Meter lange „Pinery“ (Ananashaus) im Obstgarten, gehört zu den wenigen, die es heute noch gibt. Es wurde im August 2006 eröffnet. Die Ananas als „Königin der Früchte“, zählte zu den exotischsten und schwer zu kultivierenden Früchten. Sie war der kulinarische Höhepunkt eines jeden Festessens. Ananas wird in Tatton Park auf traditionelle Weise angebaut, wobei Sorten aus der Zeit vor 1911 verwendet werden. Nach Sam Youd, heutiger Leiter der Gärten, bildet das „Pinery“ das letzte Stück im historischen Puzzle von Tatton. Darüber hinaus gibt es Feigen- und Orchideenhäuser sowie ein Haus für Weinreben.
Einer der schönsten Küchengärten in Europa befindet sich beim Schloss van Gaasbeek bei Brüssel (B). Seit der Eröffnung 1998 als Museum, hatten die Pflanzen, insbesondere die Obstbäume, genügend Zeit, sich zu entwickeln. Dieser Garten unterscheidet sich grundsätzlich von Tatton Park, wo heute mit modernen Techniken gearbeitet wird. Im Gegensatz dazu werden die Obstbäume in Gaasbeek in die erstaunlichsten Formen geschnitten und gezogen: Sie bilden Pyramiden, Kreise, Spiralen, Diagonalen, Kronleuchter usw. Hier werden seltene und historische Obstsorten – vor allem Apfel, Birne und Pflaume – kultiviert. Das Museum experimentiert mit speziellen Obst-Schnitttechniken und zieht verschiedene Birnensorten in Flaschen, die nach Frankreich exportiert werden, wo man sie mit Obstgeist füllt. Ebenso finden sich Gemüse, Kräuter und Blumen in den Gärten. Gaasbeek bietet darüber hinaus Lehrgänge zur Demonstration alter Schnitt- und Spaliertechniken, nützliche Seminare für Gärtner und Gartengestalter und sorgt für den Erhalt seltener und historischer Sorten.
Mit traditionellen Methoden und Pflanzen hat Painshill (GB) einen Teil der Weingärten wiederbepflanzt, die Charles Hamilton im 18. Jahrhundert angelegt hatte. 40 Jahre lang, bis 1790, waren die Weinberge, die den See überblicken, in Betrieb. Wie so vieles verschwanden auch sie im Laufe der Zeit, aber 1993 wurden sie mit Chardonnay, Seyval blanc und Pinot noir wieder kultiviert.
Die Gartenlandschaft um Schloss Dyck (D) geht in ihrer Gestaltung weit über eine reine Wiederherstellung hinaus; sie hat sich weiterentwickelt, moderne Ideen und Experimente wurden integriert. Im Gegensatz zu England und Frankreich, wo die Hauptsaison im Sommer liegt, bilden in Schloss Dyck Oktober und November aufgrund der Apfelernte die besucherstärksten Monate. Zudem verkauft der Hofladen je nach Jahreszeit Äpfel verschiedenster Sorten, Birnen, Erdbeeren, Honig, Säfte und anderes Obst. Im Parkgelände befindet sich eine Reihe von Schaugärten, in denen Obstbäume, Gemüse und Kräuter wichtige Gestaltungselemente sind. Diese Schaubeete dienen Besuchern als Beispiele für die eigene Gartengestaltung.
Gegenüber dem Schlosspark befindet sich der zeitgenössische Miscanthusgarten, der nicht nur eine Reihe von unterschiedlichsten Schaugärten und Skulpturen enthält, sondern auch den Miscanthus selbst, der jedes Jahr zur Weiterverarbeitung zu Brennstoff und Wärmedämmung geerntet wird.
Mustergärten, ähnlich denen von Schloss Dyck, findet man auch in Kijktuinen (NL) und im Bridgemere Garden Centre (GB), wo man die Gärten der Preisträger der RHS-Gartenschauen von Chelsea und Tatton nachgebildet hat. Manche Einrichtungen wie Schloss Dyck oder der Kreislehrgarten Steinfurt (D) haben ihre Mustergärten als Basis zur Entwicklung von Ausbildungszentren, in denen Seminare und Kurse angeboten werden, weiterentwickelt und ausgebaut.
In allen EGHN-Partnerregionen gibt es vielfältige Formen botanischer Gärten, z.B. in Nordrhein-Westfalen (D) den Botanischen Gärten Rombergpark in Dortmund (D) und den Botanischen Garten der Universität Münster (D) oder Ness Botanic Gardens in Cheshire (GB). Hier geht es nicht nur um die Ausstellung seltener Pflanzen, sondern auch um die Einführung neuer Pflanzenarten und die Erhaltung alter Arten. Botanische Sammlungen sind außerdem in historischen Anlagen – insbesondere in Parks von Heil- und Kurbädern – zu finden. Parks und Gärten, in denen frische Luft, lange Spaziergänge und Entspannung Teil der Kurbehandlung bildete, galten als integraler Bestandteil von Gesundheit und Wohlbefinden. Dies führte dazu, dass wir in Städten wie Bath (GB) einige der bedeutendsten Parklandschaften mit herrlichen Baumarten finden, die heute als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt sind. Fachkundige Gestalter wurden zur Planung der Kuranlagen herangezogen. Johann Georg Kahl schuf den Rosengarten (1872) im Kurpark von Bad Salzuflen (D), ein Parkareal von 126 Hektar mit einer ständig expandierenden Pflanzensammlung. In den 1850er Jahren gestaltete Peter Josef Lenné die Gärten des Kurparks Bad Oeynhausen (D). Als Ergebnis der Landesgartenschau 2000 (D) kam die Aqua Magica (Magisches Wasserland) hinzu, die eine Verbindung von Natur, Technologie, Gesundheit und Kunst herstellt. Diese Parks und Gärten – seien sie formal oder im landschaftlichen Stil – sind eine reichhaltige Quelle für verschiedenste Pflanzenarten und gleichzeitig bedeutend für die Identität und wirtschaftliche Stärkung einer Region.
Auf der anderen Seite sind die kleinen Produzenten zu nennen, bei denen es sich vielfach um private Eigentümer handelt, die spezielle Pflanzen züchten. Es gibt besondere Vereine für Gemüse- oder für Blumenzüchter. Viele Produzenten zeigen ihre preisgekrönten Produkte auf lokalen und regionalen Ausstellungen. Es gibt eine lange Tradition dieser Vereinigungen, die eigene Regeln und Kriterien für Obst, Blumen und Gemüse entwickelt haben.
Dort, wo das Land knapp ist oder viele Menschen in Wohnungen leben, erfüllen Schrebergärten das Bedürfnis, eigene Pflanzen anzubauen und mit der Natur verbunden zu sein. Die Kleingärten von King’s Lane Dawson in Wirral (GB) sind so erfolgreich, dass hier mittlerweile öffentliche Führungen stattfinden, deren Erlöse wohltätigen Zwecken zugute kommen. Interessenten müssen sich auf eine Warteliste setzen lassen, denn die Nachfrage nach Schrebergärten hat in den letzten Jahren zugenommen. Die Kleingärten entlang der Ruhr, z. B. die Kleingartenanlage in Castrop-Rauxel (D) bei Haus Goldschmieding unterscheiden sich grundlegend von ihren englischen Pendants, die im Wesentlichen utilitaristisch ausgerichtet sind. Die deutschen Kleingartenanlangen, die auch in Holland und Belgien zu finden ist, beinhaltet Gärten in Kleinformat mit makellos gepflegten Blumen, Gemüse und Obstbäumen. Viele sind mit Gartenhäuschen ausgestattet, so dass Familien hier den Tag verbringen und gelegentlich auch übernachten können. Die Struktur der spezialisierten Gärtner und ihrer Vereinigungen ist sehr zersplittert und es ist unmöglich, einen umfassenden Gesamteindruck von Nordwesteuropa zu erhalten.